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August mit Hippo & Apfelkuchen

  • Autorenbild: Fahrni Nicole
    Fahrni Nicole
  • 11. Sept.
  • 5 Min. Lesezeit
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Nach einem langen Tag auf Crescent Island sitzen wir zu viert im Airbnb. Tee dampft in den Händen, die Füsse ausgestreckt auf dem Sofa, Daumen wischen müde durch die Fotos vom Tag. Draussen legt die Dämmerung einen blauen Schleier über den Garten, im Kamin knistert Holz.


Plötzlich ruft Lorenz: "Hippo!"


Wir starren aufs Display - doch da ist nur ein Gnu. Millisekunde Verwirrung.

Dann folgen wir seinem Blick zum Fenster. Und da steht es wirklich: ein Koloss auf vier Beinen, direkt vor unserem Haus.

Wir stolpern raus, Schuhe hastig übergestreift, Schnürsenkel lose, Haare noch feucht vom Duschen.


Das Nilpferd hebt den Kopf. Schaut uns an.

Ein Tier wie ein Felsen. Mit einem sanftmütigen Blick.

Atem. Präsenz. Gewicht.

Wir halten inne. Schweigen. Staunen.

Für ein paar Minuten teilt es seinen Abend mit uns, dann stapft es zum See, taucht ein, verschwindet.

Zurück bleibt Stille.

Vier Menschen am Ufer des Lake Naivasha, die sich kneifen, weil das Leben gerade surreal schön ist.


Ein Tusch.

Finale furioso.


Denn am nächsten Tag heisst es Abschied nehmen von Vera und Pädi.

Fünf Wochen voller Reisen, Staunen, geteilter Abenteuer - sie enden für Lorenz und mich mit einem Hippo, das aus dem Nichts kam. Und im Dunkeln wieder verschwand.

Mit ihm rauschen die letzten Tage vorbei - wie eine Bilderfolge, die jemand zu schnell abspielt.

Die Giraffe, die zwei Meter vor unserem Auto stehen blieb.

Die Hyäne, die auftauchte, als wir gedanklich schon auf dem Heimweg waren.

Der Strauss aus Crescent Island, der mit Tempo auf uns zusetzte.

Die Fahrradtour durch den Hell's Gate Nationalpark.

Der Aussichtspunkt inmitten heisser Dampfquellen.

Das Warten auf das Mittagessen im Sotet, im versteckten Gemüsegarten.

Die Kinder, die sich nach dem Gemüsemarkt gegen unser Auto drückten.

Das gemeinsame Schwitzen im Cross Fit.

Die langen Autofahrten mit kooperativ kuratierter Playlist.

Das Füdli-Trocknen nach nassem Velosattel im Auto.

Und schliesslich die Begegnung mit dem Hippo.




Und wie das Hippo seinen Abend kurz mit uns teilte, teilen auch unsere Besucher:innen kleine Stücke unseres Keniajahres. Intensiv, nah, fast unwirklich - und dann gehen sie wieder. Zurück in die Heimat.


Zurück bleiben Erinnerungen.

Und Stille.

Eine Stille, die sich anfühlt wie der Moment nach einem Konzert, wenn das Orchester verstummt ist und man noch das Vibrieren der letzten Töne im Brustkorb spürt. Da ist Dankbarkeit. Aber auch diese Schwere, die sich auf die Schultern legt, wenn der Applaus verklungen ist.

Die Welt draussen hat sich nicht verändert. Aber man selbst trägt noch die Farben des Erlebten in sich - und plötzlich wirken die Kontraste schärfer, der Alltag ein wenig blasser.


Von einem Tag auf den anderen, sind Lorenz und ich wieder allein in Nanyuki.

Vor uns liegen zwei Wochen "Normalität". Alltag. Ein Raum, der plötzlich so weit wirkt.

Lorenz geht zur Arbeit. Ich stehe am Tor. Nur ich und der Hund. Und ein noch leerer Tag vor mir.


Wie findet man seinen eigenen Takt, wenn die gemeinsame Partitur fehlt?


Zuerst eine Apfelwähe backen.

Einfach irgendetwas tun, das zu etwas führt. Etwas, das sichtbar, greifbar wird.

Apfelwähe - funktioniert immer. In Bern ebenso wie in Nanyuki. Und wenn die Küche nach Apfel und Zimt riecht, ist die Welt sowieso in Ordnung.

Es ist simpel.

Wenn das grosse Ganze dich lähmt, dann mach etwas Kleines. Etwas mit den Händen. Etwas, das am Ende Resultat hat - golden, warm, süss. Danach fühlt sich der nächste Schritt leichter an.


An diesem Tag war sogar der Strom auf meiner Seite. Kein Flackern, kein abruptes Schwarz mitten im Backprozess - für einmal kein Blackout. Ein Luxus, mit dem man hier nicht rechnen kann.

In der Schweiz war Strommangellage das Wort des Jahres 2022. Ein Schreckensszenario, mit dem sich Abstimmungen lenken liessen. Hier ist es ein schwaches Schulterzucken. Und doch bin ich jedes Mal froh, wenn der Apfelkuchen durchziehen darf.

Strommangellage.

Mangel.

Das Fehlen von etwas, das man braucht.

Abweichung vom Soll.

Mangel ist ein Differenzbegriff. Du brauchst ein Soll und ein Ist, um ihn zu haben.

Trotzdem funktioniert's auch dann, wenn beides verschwimmt. Wenn du nicht recht weisst, was ist - und noch weniger, was soll. Und trotzdem spürst du, dass etwas fehlt.

Aber der Apfelkuchen ist. Und er soll. Da mangelt's nicht.


Flopp.


Im Garten fällt eine Avocado vom Baum. Ich gehe raus und hole sie mir.

Sie darf noch nachreifen.

Scooby kommt schwanzwedelnd ums Hauseck. Ein Ibis hockt auf dem Dach und krächzt heiser.

Ein Apfelkuchen später ist der Alltag zurück.

Erst tastend, dann sicherer.


Sport bei Isaac. Kaffee. Focus Time.

Wäsche aufhängen, Podcast im Ohr, Garten giessen.

Swahili üben. Einkaufen. Auto tanken.

Kopf sortieren. Küche putzen. Kessel unters Dachloch stellen.

Bewerbung schreiben. Fahrer organisieren. Hotels buchen.

Kochen. Zeitung lesen. Blogpost tippen. Vögel beobachten.

Ein Huhn vor Scooby retten. Besuche planen. Praktikum vorbereiten.

Teig kneten. Abendspaziergang. Telefon.

Videocall. Rechnungen, Kartenspiel, Dinner Date, Loch im Zaun, Ibis laut, Stromausfall.


Ein anderer Takt als in den Wochen davor.

Leiser. Weniger Action. Mehr Pausen. Feine Akzente.


Doch kaum sind wir wieder im Rhythmus drin, wirft uns das Leben den nächsten Taktwechsel hin: Visa-Run.

Krisensitzung.

Wir entscheiden: Wenn schon raus, dann richtig - Kurzferien auf Sansibar im September.

Cool.

Geht so.

Wir merken, wie sich Freude und Wehmut mischen.

Nicht undankbar. Nur bewusst, dass eine Woche Strand auch eine Woche weniger Nanyuki ist. August fühlt sich schon zu sehr nach Abschied an.


Zwischen Visa-Run-Plänen, Apfelkuchen und Alltagsritualen spüren wir, wie schnell die Zeit vergeht. Umso kostbarer wirken auch die nächsten Besuche: vertraute Gesichter, gemeinsames Entdecken, bevor der Countdown weiterläuft. Besuch hier bedeutet immer beides: Mit Freunden werden die Tage reicher, dichter - aber gleichzeitig auch schneller.



Markus und Hannah landen am 24. August in Nairobi. Am nächsten Tag finden sie den Weg zu uns - natürlich mit der obligatorischen frischen Ananas in der Hand.

Mit den beiden wird es wieder kurzzeitig lebendig. Wir besuchen die Animal Orphanage, schlendern über den Gemüsemarkt, probieren lokales Essen, wandern im Mount-Kenia-Nationalpark. Jeder Tag in kleines Abenteuer.

Am Donnerstag fährt der Landcruiser vor, die beiden klettern hinein - schwupps, wie das Hippo, wieder abgetaucht.


Am Wochenende sind wir wieder allein.

Samstagmorgen auspowern bei Isaac.

Am Abend ein grosses Feuer im Garten. Holz knistert. Stellah zeigt uns, wei man Chapati macht.

Sonntagmorgen radeln wir mit Naomi und Jo auf E-Bikes durch die Umgebung von Nanyuki.

Am Abend des 31. August lassen wir den Monat ausklingen. Self-Made-Dinner-Date. Kerze auf dem Tisch. Sterne über Nanyuki.


Der August ist im Kasten. So viel erlebt. So viele Momente, die wir in uns tragen. Es ist der letzte Monat, in dem wir mit dem Kopf noch ganz in Kenia sind.

Der September holt uns langsam zurück in die Schweiz: Zusatzversicherung wechseln. Auf Wohnungen bewerben. Stelleninserate suchen. Kaufinteressenten für unser Auto treffen...


Aber an diesem Abend noch nicht.

An diesem Abend sind nur wir zwei.

Ein Glas Wein.

Draussen ein Gewitter.

Schön. Pause. Zeit



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