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Durchgeschüttelt - von Rüttelpisten und rebellischen Därmen

  • Autorenbild: Fahrni Nicole
    Fahrni Nicole
  • 24. Feb.
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. März



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Das Leben in Kenia stellt man sich gern wie eine National-Geographic-Doku vor: Savanne, Löwe, Abenteuer. In Wirklichkeit besteht es manchmal nur aus Tee kochen, Durchatmen - und einer tiefen, existenziellen Dankbarkeit für funktionierende Toiletten.

Es gibt Tage hier, die schreien nach epischen Blog-Einträgen - voller wilder Roadtrips oder skurriler Begegnungen. Andere sind geprägt von der sanften Melancholie eines Darms, der beschlossen hat, eigene Wege zu gehen. In den vergangenen anderthalb Wochen hatten wir beides - Action on the road und Action on the... na, ihr wisst schon.


Zunächst kam die Action on the road. Zusammen mit einem Team aus Forschenden der Wyss Academy for Nature und dem CETRAD machten wir uns am Freitag auf den Weg nach Naibunga - ein Field Trip in eine der sogenannten Solutionscapes der Wyss Academy. Die Stimmung? Abenteuerlustig. Die Energie? Hoch. Unser Verdauungstrakt? Noch nichts ahnend und bester Dinge. Mit zwei Safari-Landcruisern und dem "normalen" Landcruiser der Wyss Academy brachen wir auf - aber nicht, ohne vorher bei Dorman's einen Boxenstopp einzulegen. Dort sicherten wir uns noch einen packed lunch und ein paar Coffee to go - denn kein echtes Abenteuer beginnt ohne ordentlich Koffein im System. Und ja, auch Kenianer*innen trinken nicht nur Tee.


Dann aber wirklich los. Die geteerten Strassen von Nanyuki hinter uns gelassen, der Staub der C76 - Nanyuki-Rumuruti-Road vor uns. Nach kurzer Zeit bogen wir nordwärts ab, in Richtung Il Polei, vorbei am südöstlichen Zipfel der Ol Jogi Wildlife Conservancy.


Wo Zäune anfangen, wird's kompliziert


Am nordöstlichen Zipfel von Ol Jogi machten wir unseren ersten längeren Stopp: bei einem sogenannten Wildlife-Corridor, der die Ol Jogi Conservancy mit der Ol Jogi Wildlife Sanctuary und der Enasoit Wildlife Conservancy verbindet. Ein Durchgang für Wildtiere - mit einer Ausnahme: Nashörner. Die passen nämlich nicht durch die schmalen Holzpflöcke am Anfang des Korridors. Kein Design-Fail, sondern bewusste Absicht. Nashörner müssen nämlich weiterhin streng bewacht werden, damit ihre Hörner nicht auf dem Schwarzmarkt für absurde Summen verkauft werden - als angebliche Heilmittel gegen Fieber, Kater oder Potenzprobleme. Manche kaufen es auch einfach nur, weil sie es können. Dass Nashornhorn mehrheitlich aus Keratin besteht - also im Prinzip das Gleiche wie meine Fingernägel - scheint die Käufer*innenschaft nicht weiter zu interessieren.

In der Ol Pejeta Conservancy habe ich gelesen, dass der Schutz eines einzigen Nashorns rund 11'000 US-Dollar pro Jahr kostet. Wildtierschutz ist teuer - und wird paradoxerweise genau deshalb oft zum Privileg reicher Privatkonservateure.


Nun standen wir also in diesem Wildtierkorridor - einem Hoffnungsschimmer inmitten eines ziemlich grossen Problems. Schon unterwegs: Zäune links, Zäune rechts. Ranches, Reservate, Gatter. Willkommen in Laikipia, einem Flickenteppich aus Eigentumsansprüchen.

Viele dieser Abgrenzungen versperren nicht nur den Wildtieren den Weg, sondern auch den Pastoralisten mit ihren Herden. Ihnen bleibt dann oft nur das Gras am Strassenrand - trocken, zertrampelt, und mit einer Plastikflasche garniert. Wildtierkorridor? Klingt erstmal gut. Noch besser wären allerdings "Dual-Migration-Corridors", also Wege für Wildtiere und Pastoralisten. Wäre ja schön, wenn nicht nur Zebras freie Bahn hätten, sondern auch Menschen, die schon immer hier gelebt haben. Viele dieser privaten Ranches stehen nämlich auf Land, das einst den Massai oder den Kikuyus gehörte - und sind bis heute ein postkoloniales Erbe mit Stacheldraht drumherum.


Zurück zu uns. Die Fahrt ging weiter - mit staubigen Strassen, ruckelnden Fahrwerken und angeregten Diskussionen. Im Auto ein bunter Mix an Passagieren: Der eine kartografierte gedanklich jedes Geländemerkmal, das wir passierten, und fragte sich insgeheim, warum es noch nicht korrekt georeferenziert worden war. Eine andere Person benannte jede Pflanze, die sie im Vorbeifahren erspähte - als wäre sie die kenianische Flora Helvetica in Menschengestalt. Eine dritte erzählte spannende Geschichten über die Grundstücke und Dörfer entlang der Strecke - nicht aus Büchern, sondern aus dem echten Leben, denn die Person lebt selbst als Massai hier in der Gegend. Hinten wühlte jemand in der Kühlbox, auf der Jagd nach einer eiskalten Soda - gar nicht so einfach, wenn die Strasse so löchrig ist, dass man alle paar Sekunden kurz abhebt. Und ich? An die Fensterscheibe gelehnt, fragend, staunend - und mit dem heimlichen Wunsch, meine schwarze Outdoorhose gegen eine flattrige Leinenshorts zu tauschen. Es war nämlich heiss. 35°C, und meine Beine fühlten sich an wie in der Dampfkammer eines Hammams, nur leider ohne den wohltuenden Kräuterduft.


Wir näherten uns der Grenze zu Isiolo County. Die Landschaft wurde weiter, trockener - und die Zäune seltener. Auf einer Anhöhe legten wir den nächsten Halt ein. Diesmal, um einen natürlichen Dual Migration Corridor zu betrachten - einen Korridor, der nicht durch Menschenhand entstanden ist. Keine Tore, keine Absperrungen, keine in den Zaun gehauene Wildtierpassage. Nur weites Land, durch das sowohl Wildtiere als auch Viehherden ziehen. Und doch: Es gibt Muster in der Landschaft. Die Daten zeigen, dass weder Elefanten noch Rinder ziellos umherwandern - beide folgen immer wieder den gleichen Wegen, von einer Weidefläche zur nächsten. Unsichtbare Pfade, die sich in der Landschaft abzeichnen, wenn man sie zu lesen weiss. Genau darum geht es hier: Solche Korridore sichtbar machen, bevor jemand kommt und sie zubaut.


Als wir zurück zu den Autos watschelten, entdeckten wir einen Platten am linken Hinterrad eines Landcruisers. Noch war da ein letzter Hauch von Luft - genug, um vorsichtig weiterzufahren, denn Zeit verlieren wollten wir nicht. In Oldonyiro (Isiolo County) legten wir einen Boxenstopp ein. Der Reifen wurde notdürftig aufgepumpt, damit er zumindest bis zum nächsten geplanten Halt durchhielt. Währenddessen verteilten sich die Mitfahrenden in alle Richtungen: Die einen nutzten die Gelegenheit für eine WC-Pause, andere für einen kurzen Schwatz mit den Teams aus den anderen Fahrzeugen. Wieder andere vertraten sich kurz die Beine - nach Stunden auf diesen Pisten war unser Sitzfleisch längst zu Sitzbrett geworden. 😅





Pilzzucht auf Elefantenkacke? - warum nicht.


Nach Oldonyiro ging es westwärts, zurück Richtung Laikipia County. Eine halbe Stunde Fahrt - gerade genug Zeit, um das mitgebrachte Sandwich genüsslich zu verspeisen - und wir erreichten unseren nächsten Stopp: frisch angelegte "semicircular bunds". Halbmondförmige Erdwälle, die Regenwasser auffangen, und langsam in den Boden sickern lassen. Eine simple, aber effektive Begrünungsmassnahme in diesem semiariden Gebiet.

Wir sprangen aus den Autos, inspizierten die Strukturen, nickten wissend und diskutierten darüber, ob die Ausrichtung der "bunds" mit der Fliessrichtung des Wassers übereinstimmt. Die Sonne brannte, die ausgedörrten Grasbüschel sahen durstiger aus als wir alle zusammen - und das wollte etwas heissen. Spätestens jetzt wurde die Dringlichkeit solcher Wasserrückhaltesysteme greifbar: Die Erde hier war so trocken, dass selbst der Zwieback, den Lorenz ein paar Tage später als Magenschonkost essen würde, daneben wie ein saftiger Biskuit erschien.


Der Reifen war inzwischen gewechselt, also kamen wir wieder zügiger voran. Ein letzter kurzer Zwischenstopp führte uns zu einem "Mushroom-House" - einem Pilotprojekt zur Bereitstellung alternativer Einkommensquellen für Viehhirten und ihre Familien. Pilzzucht auf Elefantenkacke? Klingt wie eine absurde Start-up-Idee, ist aber erstaunlich clever. Es gibt nämlich einen Pilz, der auf Elefantenkot prächtig gedeiht - wirklich! - und obendrein ein kulinarischer Festschmaus ist. Und wenn das Leben dir Elefantenkacke gibt, mach Pilzanbau draus. So entstand die Idee: den Pilz gezielt auf gesammeltem Elefantenkot - Rohstoff gibt's hier ja genug - zu züchten und zu verkaufen. Eine Arbeit, die sich gut in den Alltag von Viehhirten-Familien integrieren lässt und ein willkommenes Zusatzeinkommen bringt. Warum nicht? Könnte was werden. Allerdings, dachte ich, während ich den vertrockneten Familiengarten neben dem "Mushroom-House" betrachtete, wäre es vielleicht klug, erst mal etwas noch Dringenderes zu sichern: den Zugang zu Wasser. Immer schön an Maslow und seine Pyramide denken.





Die Rückfahrt fühlte sich ruhiger an. Vielleicht lag es an der langsam sinkenden Sonne, die die weiten Ebenen in ein weiches, goldenes Licht tauchte. Vielleicht auch daran, dass wir nach einem langen Tag voller Eindrücke einfach müde waren. Gespräche plätscherten nur noch vereinzelt dahin oder verstummten ganz, nur das rhythmische Ruckeln des Autos auf der holprigen Strasse blieb. Aufregung kam noch einmal kurz auf, als wir bei der Durchquerung der Mpala Conservancy eine Gruppe Elefanten und Giraffen antrafen. Ein kurzer Stopp - gestaunt - Kamera gezückt - weitergefahren - wieder ruhig. Ruhig nicht nur im Auto, sondern auch weiterhin in unserem Verdauungstrakt. Der Darm? zahm und mit viel Charme :)


Zurück in Nanyuki gönnten sich Lorenz und ich ein leckeres Znacht im Nook Restaurant, eine warme Dusche und dann eine frühzeitige Verabschiedung ins Bett. Gut gegessen, geduscht und vor 22 Uhr im Bett, ein Freitagabendprogramm von End-20ern, haha.



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Wenn der Roadtrip zur Regatta wird


Am nächsten Morgen ging es direkt weiter - diesmal nur zu zweit in Richtung Borana Conservancy. Weniger Feldforschung, dafür mit Self-drive, vergleichbar holprigen Fahrpisten und einer ordentlichen Portion afrikanischer Bike-Race-Atmosphäre.

Unser Ziel? Ein Besuch bei unserer Freundin Naomi, die mitten im Zielgelände der alljährlichen Borana Bike Challenge ihren Verkaufsstand aufgebaut hatte. Ihr Shop Crafty Duka durfte sich hier präsentieren - zwischen verschwitzten Mountainbikern, die gerade staubbedeckt ins Ziel rollten, und Zuschauenden, die mit kalten Drinks in der Hand fachsimpelten, als hätten sie die Strecke selbst bewältigt.

Auch Lorenz und mir blieb nur das Fachsimpeln von den Zuschauerrängen, aber ehrlich gesagt reichte mir schon das Manövrieren unseres Autos über die Offroad-Pisten von Ngare-Ndare und Borana als kleine Challenge. Während die Mountainbiker über Stock und Stein heizten, kämpften wir uns durch eine Strasse, die sich eher nach Wildwasserfahrt anfühlte. Beim Anblick der vielen Schlaglöcher hier würde selbst ein Emmentaler Käse Komplexe entwickeln.


Der Tag in Borana war spannend - aber auch ein bisschen ein "Wasungu"-Overload. Klar, wir gehören ja selbst dazu, aber als wir plötzlich Schweizerdeutsch hörten, merkten wir, dass wir noch nicht bereit sind für Smalltalk mit Landsleuten. Also wechselten Lorenz und ich ins Englische, um unsere Tarnung aufrechtzuerhalten.

Ansonsten war die Stimmung hier top: Viele Biker*innen hatten die Challenge zum ersten Mal absolviert und wurden im Zielgelände mit tosendem Applaus empfangen. Staub und Schweiss tropften von ihren Gesichtern, aber ihre Augen glänzten vor Stolz. Wir genossen die Atmosphäre - und ein bisschen zu viel lokales Essen. Offenbar hatten wir an diesem Tag nicht nur unser "Feldforschungs"-Gehirn abgeschaltet, sondern auch sonst jeglichen rationalen Verstand. Munter bestellten wir am Lunch-Buffet drauflos, als gäbe es kein Morgen. Dabei hätte uns spätestens beim Anblick der Küchenzelte auffallen müssen, dass hier nirgendwo ein Kühlschrank stand. Bei > 30°C...Naja, man lernt nie aus. Die Konsequenzen dieses unbedachten Mittagessens trafen uns allerdings erst ein paar Tage später.



Zuerst stand noch die Rückfahrt an. Kaum hatten wir das Zielgelände verlassen, stand ich vor meiner ersten echten Fahrprüfung: 4x4-Modus an oder wir kommen hier nicht hoch. Die steile Piste war ein einziges Geröllfeld. Und als wäre das nicht genug, gab's noch ein Upgrade: Gewitter! Blitz, Donner, Platzregen - innerhalb von Minuten verwandelten sich die staubigen Pisten in kleine Sturzbäche. Selbst auf höchster Stufe schafften es die Scheibenwischer nicht, mehr als eine verschwommene Ahnung von der Strasse freizulegen. Also tasteten wir uns im Schritttempo die steilen Passagen hoch. Anstregend? Ja. Aber ehrlich gesagt auch ziemlich cool. Und unser 4x4? Kroch die Pisten hoch wie eine kleine Zahnradbahn, das Hinterrad vielleicht zwei Mal kurz ausgebrochen. Härtetest bestanden.



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Kurz vor Nanyuki war das Gewitter dann schon wieder vorbei, und wir erreichten unser Haus unversehrt. Wir dachten, das schlimmste Unwetter läge hinter uns. Ha! Der wahre Sturm war erst im Anmarsch - und diesmal half kein 4x4-Modus.

Die kommende Arbeitswoche war dann entsprechend etwas "slow-go" und das Programm diktiert vom uncharmanten Darm, der sein Bestes gab, um die kleine Grussbotschaft vom Food-Zelt ohne Kühlschrank in Borana zu verarbeiten. Wie gesagt, auch hier in Kenia besteht das Leben nicht nur aus Roadtrip und Safari. An manchen Tagen hältst du dich an der Sitzlehne fest, während das Auto über die holprigen Strassen prescht, und manchmal halt am Teekrug. C'est la vie, cherie! ;)


Übrigens, keine Sorge - zwei Tage Tee, Bananen und Durchatmen, dann war alles wieder im Lot. 😃


Auf bald

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